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Sonntag, 5. Februar 2017

*** ausgeplaudert *** Die unheimliche Begegnung

Ich hatte mal einen Kollegen. Der übernahm vor vielen Jahren eine chirurgische Chefarztstelle an einem Kreiskrankenhaus.
Das klappte mehr schlecht als Recht. Mal war ihm das zu viel, mal das andere zu wenig. Mit dem Personal konnte er nicht und die Organisation lies auch zu wünschen übrig.
Ich hatte das alles mitbekommen, weil er sich immer mal wieder bei mir »ausheulte«. Selbst ein paar Hospitationen an meiner Abteilung zeigten nicht den erwünschten Erfolg.

Schon bald war klar, er konnte die Chefarztstelle nicht halten. Der Krankenhausträger, eine kommunale Einrichtung, schwerfällig wie d’Sau, kapierte es schließlich auch. Man trennte sich in beiderseitigem Einvernehmen.
Das sollte man, wann immer es möglich ist, so machen.

Wir verloren uns aus den Augen, bis die Zertifizierungshysterie über die bundesdeutsche Krankenhauslandschaft hereinbrach.
Das war jetzt »IN«. Ohne Zertifizierung warst Du eine Krücke, ein NO GO, ein überalterter Methusalem. Mit anderen Worten, ohne Zertifizierung konntest Du keine gute Medizin mehr machen.

Also sprießten überall private Zertifizierungsagenturen, selbstverständlich nach DIN-Norm und staatlich ausgelobt,  wie Pilze aus dem Boden.

Dann war es auch in meiner Abteilung soweit. Ich sagte mir, das sei halt dem Fortschritt geschuldet und nun mal so üblich. Meine chirurgische Abteilung brummte, schrieb gute Zahlen und war vor Ort durchaus angesehen. Ich brauchte vor nichts zu Kuschen.

Irgend ein »Zertifizierungsbeauftragter« aus den Reihen unserer Verwaltung, der in ein paar Wochenendlehrgängen zum Fachmann mutierte, übernahm das Training.
Jetzt hieß das ganze Qualitätsmanagement und so Begriffe wie »ISO 9001« und »KTQ« waren plötzlich furchtbar wichtig. Neben einer Erstzertifizierung gab es Rezertifizierungen, bei denen die oben bereits erwähnten »Agenturen« prächtig Kasse machten.

Ganze Horden von Zertifizieren tummelten sich in regelmäßigen Abständen im Krankenhaus.

Was früher bei uns in der Chirurgie schlicht und einfach»Ablauforganisation« hieß, wurde nun in viele Begriffe aufgesplittert. Ich will sie mit diesem Schmarrn nicht langweilen. Das sind endlos lange, meist nichtssagende Listen mit viel Unsinn drinnen.
Da war von Kundenzufriedenheit die Rede. Plötzlich wurden unsere Patienten Kunden.
Alles Mögliche und Unmögliche wurde messbar gemacht.
Das klappte natürlich nicht, dann nahm man halt fiktive Zahlen an.
Über allem schwebte der Mammon. Mein hervorragendes Personal wurde heimlich und leise zum Kostenfaktor und der Patient, sorry Kunde, zur Melkkuh.

Dann kam eine unheimliche Begegnung:
Sie erinnern sich noch an meine Anfangszeilen?
Es kam zum Abschlussgespräch über das ganze Zertifizierungsgedöns. Und wer kam munteren Schrittes in mein Zimmer?
Sie erahnen es!
Er meinte, er sei jetzt voll und ganz in die Zertifizierung eingestiegen und habe mit der Chirurgie nichts mehr am Hut.

Nun wollte sich der Herr Kollege Zertifizierer mit mir über Organisationsdefizite in meiner Abteilung unterhalten. Er zückte ein Schnellhefter, voll mit Formularen und Listen. Wenn es damals schon Notebooks gegeben hätte, dann hätte er sicher statt Schnellhefter so ein Dings vor sich liegen gehabt.

»Du?«, ich musste einfach lachen.
»Du willst mir etwas über Organisationsdefizite in meiner Abteilung erzählen?«
Verwundert schaute er mich an und meinte:
So ein Abschlussgespräch sei nun mal zwingend bei einer Erstzertifizierung vorgeschrieben.

»Wir können uns über alles Unterhalten, können einen Kaffee miteinander trinken oder ein Bier. Ich besorge Dir sogar eine Brotzeit. Aber eines sag ich Dir! Keinen Ton über meine Organisationsdefizite, sonst schmeiß ich Dich hochkant raus!«

Er blieb sitzen, packte seine Schnellhefter wieder ein und meinte, jetzt habe er endlich mehr Zeit Golf zu spielen.

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